Stolpersteine und ihre Angehörigen

Nur noch bis zum 4. März 2012 ist in Hamburg die Ausstellung „Stolpersteine und ihre Angehörigen“ zu sehen, die ich gestern besucht habe. Gestern erst, weil gestern die Fotografin Gesche Cordes zu einem Künstlergespräch geladen hatte und ich sehr gern vom Künstler oder Kurator selbst durch eine Ausstellung begleitet werde, nicht zuletzt deswegen, weil man sehr viele Infos und Hintergrundgeschichten erfährt.

Die Geschichte der Stolpersteine begann, als der Künstler Gunter Demnig, der sich in seiner künstlerischen Arbeit schon länger mit dem Thema „Spuren“ beschäftigt,  1992 in Köln den ersten Stein zum Gedenken an die Deportation von Roma und Sinti nach Auschwitz legte.  Der Stein ist mit Messing versehen und auf ihm zu lesen stehen die ersten Zeilen des Deportationserlasses Himmlers. In den Folgejahren dehnte Demnig seine Aktion auf alle von den Nazis verfolgten Gruppen aus und entwickelte das Projekt „Stolpersteine„. Seit 2002 wurden in Hamburg knapp 4.000 Stolpersteine verlegt und als die Fotografin Gesche Cordes davon las, stand für sie fest, dass sie das Projekt für Hamburg dokumentieren wollte. Von nun an nahm sie aktiv an der Verlegung der Steine teil und fotografierte die bewegenden Momente des Gedenkens der Angehörigen, die teilweise aus weit entfernten Ländern anreisten und vielfach erstmals die Möglichkeit eines Abschieds hatten. Selbstverständlich sei es eigentlich befremdlich, einen so intimen Moment als Fotografin festzuhalten, aber diese Fotos seien als Dokument der Erinnerung einfach wichtig, so Gesche Cordes, die zu jedem der Bilder die Geschichte kennt. So z. B. die von dem 13-jährigem Jungen, der, nachdem Vater, Mutter und der Bruder von den Nazis umgebracht wurden, mit dem Pass seines toten Bruder emigrierte, weil man dafür 15 Jahre alt sein musste. Er kam zur Verlegung der Stolpersteine für seine Familie und konnte endlich das Kaddisch, ein besonderes Gebet,  sprechen, was im jüdischen Glauben seine Aufgabe als nächster männlicher Verwandter war. Es sind die Geschichten von Juden, Behinderten, Homosexuellen, Sinti und Roma und politisch Verfolgten. Vor manchem Hauseingang in Hamburg liegen 12 Stolpersteine!

Die Verlegung folgt stets einem festen Ritual: Der bzw. die Steine werden mit einem schwarzen Tuch abgedeckt. Die Anwesenden werden begrüßt und lesen  Namen, Deportationstag und -ort und das Datum des Todestages ihres Verwandten vor. Sie erzählen etwas über die Opfer und dann wird der Stein enthüllt und ihrer gedacht. Dies kann sehr individuell geschehen. Manchmal wird gesungen, es werden Kerzen und Blumen auf die Gedenksteine gelegt. Einige bringen Fotos ihrer Verwandten mit und legen diese neben die Gedenksteine, damit man weiss, wem man dort gedenkt.

Individuell ist auch diese Form der dezentralen Denkmäler. Das Schicksal Einzelner steht hier im Vordergrund und die Verteilung der Stolpersteine macht uns deutlich, dass dieses Grauen mitten unter uns passiert ist und wirft die Frage auf, ob die Menschen, die damals auch in diesem Wohnhaus gewohnt haben, wirklich nichts davon mitbekommen haben? Über Stolpersteine kommen Menschen ins Gespräch. Vielleicht diejenigen, die heute in dem Haus wohnen, vielleicht Passanten, ältere und jüngere, die über sie stolpern. Stolpersteine regen zur Auseinandersetzung an, schaffen soziale Kommunikation und eine Verbindung zwischen den Generationen. So geschah es bei einer Gedenkfeier, dass die angereisten Angehörigen sagten, dass sie gar nicht wüssten, wie der Opa aussah. Das bekam ein Bewohner des Hauses mit, der ein Schulkamerad des Opas gewesen war und schnell lief er in seine Wohnung und holte ein Klassenfoto herunter, um den Angehörigen das Bild zu zeigen.

Die Bilder sind wunderbar aufgenommen. Um aus der Nähe sowohl die Angehörigen als auch die Stolpersteine auf ein Bild zu bekommen, setzte Cordes ein Weitwinkel ein und dadurch entsteht optisch der Eindruck eines geschlossenen Kreises inmitten des öffentlichen Raums. Damit die Bilder einen echten Erinnerungscharakter haben, fotografierte sie streng dokumentarisch, unverfälscht.

Stolpersteine sind übrigens nicht unumstritten und in manchen Ländern gar ganz verboten. So werden auf Wunsch der jüdischen Gemeinde in München keine Stolpersteine verlegt, weil die Steine schließlich getreten werden. Dabei hat der Künstler Demnig ausgeführt, dass man sich verbeugen muss, wenn man die Inschrift eines Stolpersteines lesen möchte. In Hamburg möchten Roma und Sinti nicht, dass die Steine hier verlegt werden. Sie hätten sie lieber in ihren Herkunftsländern. Oft wehren sich Besitzer hochwertiger Immobilien gegen die Verlegung vor ihrer Haustür, weil sie befürchten, dass ihnen unterstellt wird, unrechtmäßig in den Besitz gekommen zu sein oder schlicht eine Entwertung ihres Grundstücks fürchten. Da die Steine im öffentlichen Raum verlegt werden, können sie sich nicht dagegen wehren.

Meiner Meinung nach sind die Stolpersteine ganz wichtig gegen das Vergessen und für die Auseinandersetzung!

Da ich finde, dass die Ausstellung bzw. die Bilder  insbesondere durch die Geschichten lebendig werden, empfehle ich das Buch von Gesche Cordes, in dem sie zu jedem Bild auch die Geschichte erzählt hat.

Die Ausstellung findet nur noch bis zum 4. März 2012  im Kunsthaus Hamburg statt. Kontaktdaten und Öffnungszeiten finden sich auf der Homepage.

13 Antworten zu Stolpersteine und ihre Angehörigen

  1. Luiza sagt:

    Sehr interessant. Da wäre ich gerne mitgegangen.
    Dafür mache ich morgen einen Walk durch Antwerpen und hoffe auf gutes Wetter:-)

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    • Verfasser

      In Antwerpen gibt es wohl noch keine Stolpersteine, sonst hättest du auch davon ein Foto machen können :-). Ich brauche es morgen nicht, falls hier das gute Wetter um die Ecke kommt, schicke es nach Antwerpen 🙂

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      • Luiza sagt:

        …dafür gibt es in Antwerpen so viel StreetART, dass man gar nicht weiss, wohin mit sich. Hatte ca. 4 Stunden Zeit, das Wetter war natürlich grau aber nicht verregnet und so kam das eine oder andere zum Vorschein, jetzt sitze ich dran und hoffe, dass ich heute Abend fertig bin. Muss leider heute für jemanden was machen, dafür haben wir 2 Stunden Fahrt vor uns:-|
        Aber DANKE schon mal für das Wetter:-)

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  2. Den Hintergrund zu den Stolpersteinen war mir bekannt, und auch viele Häuser in Hamburg, vor denen welche zu finden sind. Was ich nicht wußte, war, dass sie zusammen mit den Angehörigen verlegt werden und dies nach einem Ritual erfolgt. Was dem Anliegen sehr gerecht wird.
    Und eine weitere eher tröstende Geschichte vor dem grausamen Hintergrund erzählt.
    LG Michel

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  3. Kerstin sagt:

    Klingt nach einer interessanten Ausstellung, die würde ich mir auch noch gern anschauen. Ja, die Stolpersteine… Die Idee finde ich total gut, unaufdringlich und dabei doch ein Mahnmal, welches die Gedanken anregt. Kennst du die Stolpersteine App für Hamburg? Die ist toll, habe ich schon ausprobiert.

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  1. […] wurden. Über die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig hatte ich in meinem Artikel “Stolpersteine und ihre Angehörigen”  schon einmal geschrieben, wer sich für die Hintergründe interessiert, möge bitte dort […]

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