Am Wochenende habe ich die Ausstellung „Gute Aussichten – junge deutsche Fotografie“ in den Hamburger Deichtorhallen besucht. „Gute Aussichten“ ist ein privat initiiertes Projekt, bei dem jedes Jahr von den verschiedenen Hochschulen und Akademien Deutschlands die vier besten Abschlussarbeiten junger Fotografen einer Jury vorgelegt werden, die darüber entscheidet, welche Arbeiten in dieser Ausstellung gezeigt werden. Diesmal sind es die Arbeiten von Susann Dietrichs, Saskia Groneberg, Svetlana Mychkine, Nicolai Rapp, Fabian Rock, Jakob Weber und Henning Bode. Da mir die Arbeit von Henning Bode besonders gut gefiel und der Künstler vor Ort persönlich über seine Motivation und Erfahrungen berichtet hat, widme ich ihm einen größeren Teil meines Berichts.
Henning Bode hat an der Fachhochschule Hannover Fotojournalismus und Dokumentarfotografie studiert. Zu seinen Vorbildern zählt u. a. Walker Evans. Für das Foto-Essay „Die Kinder des Cotton“ ist er weit gereist, in den Süden der USA, ins Mississippi-Delta. Dorthin, wo Touristen auf den Spuren des Blues wandeln. Im Gegensatz zu ihnen blieb er dort für 3 Monate. Sein Interesse an der Region erklärt der Künstler zum einen damit, dass es eine der ärmsten Regionen der USA ist und ihn die Menschen beeindrucken, deren Einfachheit und Lockerheit, mit der sie ihr hartes Los annehmen und zum anderen mit seinem Interesse am Mythos Mississippi, am Ursprung des Blues. Ausserdem ließ sich beides perfekt mit seinem fotojournalistischem und dokumentarischen Ansatz verbinden Und nach zwei Wochen war klar, dass dies seine Abschlussarbeit werden würde.
Er wählte die Form des Essays, weil „(…) er verhindern wollte, zu sehr von Vorurteilen geleitet zu werden: „Der Essay ermöglicht es mir, starke, voneinander unabhängige Fotos zu produzieren.“ Anders als die in sich geschlossene Reportage lässt ein Essay mehr Raum, um der Spontaneität des Augenblicks zu vertrauen und nicht mit einem dramaturgischen Konzept im Kopf zuvor festgelegten Motiven nachzujagen.“ (Spiegel online)
Es ist dem Fotografen gelungen, seine Essenz der Realität auf den Bildern abzubilden, er hat einen melancholischen Blick auf die Region und die Menschen, nicht fokussiert auf die Armut. Henning Bode erzählt, dass die Menschen im Mississippi-Delta sich selbst gar nicht als arm empfinden, locker und besonders gastfreundlich sind, so dass man schon aufpassen müsse, dies nicht auszunutzen. Und wie ungewohnt es für ihn war, inmitten der Einwohner immer im Mittelpunkt zu stehen und nicht als Fotograf hinter der Kamera zu verschwinden, was sicher den meisten Fotografen so ginge. Interessant fand ich auch seinen Eindruck, dass in diesem Teil Amerikas bis heute keine Rassenvermischung stattzufinden scheint, weil das Süd- und Nordstaaten-Problem in dieser Region besonders tief verwurzelt zu sein scheint.
Die Fotos werden gerahmt, aber ohne Glas gezeigt, was mir sehr gut gefällt, da man einen viel direkteren Blick auf die Werke hat. Der mittlere Block in der Ausstellung zeigt öffentliche Orte,rechts und links daneben wurden die privateren Portraits gehängt. Portraits seien eine tolle Art, etwas über die Region zu erzählen, so der Künstler. Die Portraits sind ausdrucksstark und kontrastreich – intensiv. Bilder, die man lange betrachtet, eben weil sie etwas erzählen. Alle Bilder wurden analog und in schwarzweiß aufgenommen. Um die Personen realer abbilden zu können und wegen der höheren Auflösung des Negativs wurden diese mit einer Mittelfomat-Kamera (Rolleiflex) aufgenommen, erklärte mir Henning, und ruhiger würden die Bilder im 1×1-Format wirken. Beim Essay hat er sich für das Kleinbildformat entschieden. Die Fotos sind ebenso faszinierend. Die Aufnahme der Sumpflandschaft ist eine der eindringlichsten Naturaufnahmen, die ich bisher gesehen habe. Ein anderes Bild zeigt zwei abgetrennte Hirsch-Köpfe in einem Raum und wirkt schon fast surrealistisch. Die abgebildeten Szenen aus dem Leben der Menschen haben etwas so lebendiges, dass man fast meint, die Geräusche dazu zu hören. Aber bevor ich hier noch mehr ins Schwärmen verfalle, schaut euch die Bilder an, am besten live vor Ort:
Gute Aussichten in den Deichtorhallen
Beeindruckend
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Super Bericht! Danke Conny. Ich habe mir die Arbeiten angeschaut und bin begeistert. Fotojournalismus ist unglaublich anspruchsvoll. Schade dass ich die Ausstellung nicht vor Ort anschauen kann.
Ich musste auch gleich an eine Doku denken die ich vor kurzem im Fernsehen angeschaut habe. Ist zwar was ganz anderes, aber der Mississippi und die Menschen die dort wohnen sind auch hier das zentrale Thema. Hier der link zu Mister und Missis Sippi:
http://monstamovies.wordpress.com
und dann noch der Link zum Film:
http://www.3sat.de/mediathek/index.php?display=1&mode=play&obj=17534
Beide Reportagen machen mich heiss dorthin zu reisen 🙂
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Danke Gilles, die Filme werde ich mir morgen gleich ansehen, bestimmt sehr interessant! LG, Conny
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Ach so, soweit ich weiß, wird die ganze Ausstellung in verschiedenen Städten gezeigt, vielleicht hast du ja doch eine Chance …..
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Danke für den Hinweis. Ich muss mich mal schlau machen.
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Schade, zu weit fürs erste. Würde ich gerne mal live sehen. Wirklich beindruckende Arbeit.
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Mir gefallen die Fotos sehr,aber bei den Portraits habe ich so für mich den Eindruck,als seien die Fotos frisch gebügelt, bzw. alles noch aufgehübscht oder kommt es so tatsächlich ins Foto?
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Das ist der analoge Look. Ich kenne mich mit Analog-Fotografie nicht gut aus, aber es hängt mit den Eigenschaften des verwendeten Filmmaterials zusammen und der Entwicklung in der Dunkelkammer.
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SW-Filme passend zum Motivkontrast zu belichten und adäquat zu entwickeln, bedeutet sehr viel Sorgfalt seitens des Fotografen und des Fotolaboranten, um (fototechnische) Spitzennegative zu erzeugen. Diese Vorlagen werden üblicherweise via Film-Scanner digitalisiert und am Rechner mediengerecht nachbearbeitet (Bilddaten der Druckvorstufe) …
“Der Essay ermöglicht es mir, starke, voneinander unabhängige Fotos zu produzieren.”
Was möchte der Verfasser des Essays (der oder das Essay = kürzere Abhandlung) dem Besucher der Ausstellung hier mitteilen?
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Die Frage wäre eine, die du ihm wohl am besten selbst stellst. Henning Bode ist sicher offen dafür und über seine Webseite findest du seine Kontaktadresse.
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Schöner umfassender Bericht, der Lust macht… Ich habe jede Menge Ankündigungen in diversen Zeitungen gelesen mit tlw. Vorstellungen der Künstler. Muss man wohl anschauen…
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Ja, auf jeden Fall!
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Sehr schöner Bericht 🙂 danke dafür! ….und da warst du mal wieder schneller als ich, dahin möchte ich auch noch unbedingt 🙂
LG, Kerstin
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Hi Kerstin, wenn du weisst, wann, sag doch Bescheid. vielleicht können wir uns auf einen Kaffee teffen? LG, Conny
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merci, sieht nach einer interessanten Expo aus. Danke fuer den detaillierten Bericht
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Merci!
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Danke für den tollen Bericht! 🙂
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Aber gern doch :-), freut mich, dass er dir gefallen hat!
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Ist es nicht toll, wenn man die Künstler so erlebt? In so einer Ausstellung herrscht unglaublich tolle Stimmung und Ruhe und das spiegelt sich auch in den Berichten wider. Wenn Du vielleicht doch irgendwann mal nach Köln kommst, dann gehen wir mal zusammen zu 30works:-)
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Stimmt, ich finde das auch toll! Ja, vielleicht wird das in diesem was, dass ich nach Köln komme, Lust hätte ich, schaun wir mal! 🙂
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Juhuu:-)
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Eigentlich ist schon alles gesagt – ich hatte ebenfalls das Glück die Ausstellung an dem Tag zu besuchen und kann mich nur anschließen: Ein toller Bericht!
Ich fand Hennig Bode auch am spannendsten.
Vielleicht ein Aspekt, weil oben die Frage (Essay vs. Reportage) auftauchte:
Ich hab Henning Bode so verstanden, dass er das Essay wählte, um gleichsam zu verhindern, dass all die Vorstellungen, Vorurteile und anderweitigen Gedankenwelten, die sich (speziell bei Europäern) um „den“ Mississippi ranken (Musik, Tom Sawyer, etc.) beim Betrachten der Werke (störend) „einmischen“.
In diesem Sinne bedürfe es beim Essay tendenziell keine sinn- oder zusammenhangstiftende Dramaturgie oder Kommentierung, sondern es sei eben möglich, Eindrücke und Situationen quasi losgelöst voneinander so zu dokumentieren, wie sie erlebt wurden.
f.
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Danke für die Informationen zu den ausgestellten Aufnahmen. Das menschliche Auge gleicht immer das Gesehene – einschließlich der unbewußten Selektion aus der Fülle von Details – mit den individuellen Erfahrungen ab. Ein Fotoobjektiv zeichnet dagegen alles Sichtbare – ohne Gewichtung und Korrekturen – neutral auf. Ein Fotograf sollte möglichst das Innere und die Psyche des Dargestellten vor dem Auslösen des Verschlusses erfassen und diesen Augenblick (z.B. 1/100s) im Foto unwiederholbar verdichten. Dabei wirkt jedes Foto auf den Betrachter für sich allein – unabhängig vom Titel oder dem Thema einer Ausstellung …
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