HOMELESS?

HOMELESS

 

An einem warmen Tag in Palma. Die Touristen erkunden die Stadt, suchen ein schattiges Plätzchen in einem Café und entspannen. Er sucht auch ein schattiges Plätzchen um zu entspannen, findet eine freie Bank, öffnet seine Kühlbox und setzt sich mit dem Schälchen Salat. Beobachtet dabei vielleicht das Treiben der Passanten, ist vielleicht in einem Tagtraum gefangen oder blickt einfach ins Leere. Die Menschen um ihn herum nehmen von ihm keine Notiz.

Ich bin zunächst fasziniert von der Ordnung, die in seinem praktisch organisiertem „Transportwagen“ herrscht (Einkaufswagen passt hier irgendwie nicht). Kühlbox, Koffer, Fächer. Er muss nicht lange suchen, sondern kramt zielsicher in seinem Hab und Gut. Das Gefühl, welches ich hier in Hamburg oft habe, wenn ich Obdachlose sehe, will sich nicht so recht einstellen. Liegt es daran, dass er dort lebt, wo ich das absolute Urlaubsfeeling habe? Daran, dass er sich so selbstbewusst und stolz bewegt? Meinem Bild von einem Obdachlosen entspricht er irgendwie nicht, aber über all das denke ich erst im Nachhinein nach, während ich überlegte, ob ich dieses Bild veröffentlichen werde.

Überschreite ich eine Grenze? Ich habe Hemmungen, überprüfe meine pros und cons. Lege das Bild zur Seite, aber der Mann und das Bild wollen  mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich recherchiere über Obdachlose in Palma, erfahre, dass dort ca. 1000 Obdachlose leben und die Tendenz steigend ist.

Dann frage ich mich, ob dieser Mensch überhaupt obdachlos ist? Es wäre auch denkbar, dass er für einige Monate ein „freies“ Leben auf der Sonneninsel genießt und praktisch, wie er offensichtlich veranlagt ist, einen Einkaufswagen nutzt, um seine Koffer und ein wenig mehr, bequem durch die Straßen zu schieben. Wer bin ich, dass ich über einige wenige Merkmale darüber urteilen kann? Gefragt habe ich ihn nicht.

Das Bild beschäftigt mich immer noch ….

15 Antworten zu HOMELESS?

  1. Kerstin sagt:

    Ja, solche Fotos oder solche Momente beschäftigen einen. Mir ging das auch mal so in Oslo, da habe ich ein ähnliches Foto gemacht http://www.kerstin-horn.de/2011/07/13/die-andere-seite/ über die Veröffentlichung hatten ich mir damals auch viele Gedanken gemacht, mich letztendlich aber auch dafür entschieden.
    Natürlich sieht man Obdachlose auch in Hamburg, sehr viele und ich kam auch noch nicht auf die die Idee in Hamburg zu fotografieren. Zu viele, zu viele Schicksale und meistens lässt man es auch nicht so an sich ran, wie im Urlaub, da ist man mit offenen Augen unterwegs und hat meistens ganz anders Zeit, keine Termine, kein Zeitdruck…
    Im Dezember bin ich in Palma, mal sehen, ob der noch da ist.

    LG, Kerstin

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    • Verfasser

      In Hamburg würde das auch nicht tun, es sei denn, es wäre eine ähnliche, auf den ersten Blick so positiv wirkende Szene. Ich finde es interessant zu lesen, dass du bei deinem Bild dir in etwa die gleichen Fragen gestellt hast. Interessieren würde mich jetzt, warum du dich für die Veröffentlichung entschieden hast, welche Argumente oder welches Gefühl der Auslöser war. Vielleicht liest du dies und magst antworten, wenn nicht, ist auch ok. LG!

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  2. hansekiki sagt:

    Es ist ein gutes Bild. Die Distanz passt hier und ich finde es gut, daß man sein Gesicht nicht sieht. Es ist ein schwieriges Thema. Es gibt sehr viele Aufnahmen von Obdachlosen, der Freizeitotograf meint es vielleicht auch gut, aber er entblößt oftmals diese Menschen auf eine, für sie, unangenehme Art und Weise. Da werden oft Grenzen überschritten. Hier passt es aber, man sieht es im ersten Moment nicht, sondern man muß das Bild eine Weile betrachten. So sollte es m.M. nach sein.
    LG kiki

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    • Verfasser

      Danke für deinen Kommentar. Stimmt, ich empfinde beim Betrachten solcher Bilder auch oft, dass eine Grenze überschritten wurde und das würde ich nicht tun. Ich habe schon so manches Bild nicht veröffentlicht, weil mir klar war, dass ich damit jemanden vorführe und sei es noch so anonym. Z. B. habe ich neulich eine Frau, die ähnlich wie Beth Ditho aussah, dabei fotografiert, als sie in einen riesigen Burger biss. Ein Aber das würde ich so nicht zeigen. LG zurück!

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  3. Ich kann deine Fragen nur zu gut verstehen. Aber ich habe eine eindeutige Haltung dazu. Ich denke, es kommt schon bei der Aufnahme auf den „Blick“ an, mit seiner Aufnahme den Respekt vor dem Menschen zu berücksichtigen und dann das Bild entsprechend „gefühlvoll“ zu präsentieren. Ist dir nicht beides gut gelungen? Ich finde schon.
    Aufgabe von Fotografie ist es ja auch, Fragen zu stellen, kritisch zu hinterfragen und dem Betrachter auch mal „vor den Kopf zu stoßen“.
    Ein nachdenklicher Beitrag. Schön. Danke dafür.
    Lg,
    Werner

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  4. Jarg sagt:

    Ein gutes Bild und eine kluge, sensible Abwägung über die Veröffentlichung. Kompliment für beides!

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    • Verfasser

      Freut mich, Jarg, dass dir beides gefällt. Ich denke, es ist grundsätzlich hilfreich, seine Gedanken unf Gefühle zu reflektieren und Ambivalenzen offenzulegen, auch in einem Blogpost. Dieses Bild hätte ich nicht unkommentiert zeigen können.LG!

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  5. aebby sagt:

    Ich habe das Bild jetzt schon ein paar Mal angeschaut und mir auch Gedanken zu Deinem Text gemacht und doch immer wieder gezögert etwas zu schreiben weil es vielleicht falsch rüber kommen könnte.

    Zuerst zum Bild. Das Bild hat was! Sein Blick, der womöglich dem enteilenden Paar folgt, und das Paar selbst, das wirkt als wollten sie schnell wegkommen, wecken Assoziationen. Es entstehen Ansätze einer Geschichte, Fragen tauchen auf … insofern würde ich mich meinen Vorschreibern anschließen, dass es ein gutes Bild ist.

    In Sachen Veröffentlichung kann ich nur für mich sprechen. Ich habe im Kontext der Streetfotografie leider schon unangenehme Erfahrungen gemacht – nicht als Fotograf, sondern als Fotografierter. Ich wurde damals ohne mein Wissen fotografiert. Durch eine geschickte Wahl des Ausschnitts war nicht mehr ersichtlich warum ich die sichtbare Grimasse schnitt. Ich fand das dann überhaupt nicht lustig als ich das Bild inkl. einer Reihe unsäglicher Kommentare in einer Community wiederfand. Ich will das nicht mit Deiner Veröffentlichung vergleichen, die überhaupt nichts mit Effekthascherei zu tun hat. Wegen meiner persönlichen Erfahrung frage ich mich aber seither immer unwillkürlich „Was denkt der Mensch auf dem Bild darüber?“ Das schwingt bei mir leider immer mit wenn ich Bilder von Straßenszenen sehe.

    Ich persönlich habe für mich die Konsequenz gezogen nur noch Bilder zu veröffentlichen für die ich eine explizite Genehmigung habe. Das hat dazu geführt, dass ganz viele Bilder für immer in meinem Archiv verschwunden sind. Das kann aber auch keine Lösung für alle sein, sonst gäbe es keine Streetfotografie mehr.

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    • Verfasser

      Ich finde deinen Leitgedanken gut und würde ihn für mich so übernehmen. Ich könnte mit Street nie mein Geld verdienen, da ich eher zu viele als zu wenig Skrupel habe. Und das beginnt schon bei der Aufnahme. Im Urlaub, wenn man als Tourist in der Menge untergeht, ergeben sich mehr Möglichkeiten für mich als hier in HH.

      Wenn man selbst einmal so bloßgestellt wurde, hat man sicher noch engere Grenzen.
      Danke für deine Gedanken!

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  6. Luiza sagt:

    Ja, als Urlauber will man über diese Alltäglichkeiten gerne hinweg sehen, aber es geht halt nicht immer.
    Ich glaube nicht dass eine Grenze überschritten ist. Für mich ist eine Grenze überschritten, wenn das Bild in der Express erscheint…
    Streetfotografie geht natürlich immer ein bisschen auf der Grenze und schwankt. Ich denke immer, wenn man mehrere Personen auf dem Bild in der Öffentlichkeit ablichtet, darauf achtet dass keinem was peinlich sein muss etc. dann ist es erlaubt. Falls sich doch noch jemand meldet und um Rückzug bittet, dann darf das auch kein Problem sein.

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    • Verfasser

      Interessanterweise scheint da jeder seine ganz eigenen Grenzen zu haben. Meine beginnt dort, wo etwas Peinliches ohne Erlaubnis desjenigen abgebildet wird oder eine Art Voyeurismus befriedigt wird. Danke für deinen Kommentar.

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  7. moodway sagt:

    Moin Conny,

    zum Thema „schicklich oder nicht schicklich“ (Grenze überschritten) wurde hier schon etwas gesagt, deshalb möchte ich noch einen weiteren Blickwinkel beisteuern …

    Wenn ich solche Bilder sehe, werde ich immer furchtbar wütend, weil wir in reichen Ländern leben – so reich, dass es keine Armut geben müsste. Unseren Volksvertretern ist offensichtlich die Finanzierung (mit unser aller Geld) von Großprojekten wichtiger als ein menschenwürdiges Leben für alle. Ich kann das kaum ertragen.

    Ich habe auch so ein Foto gemacht und es ist nicht ganz so nett wie deines, zeigt aber umso intensiver, dass der Fall nach unten letztlich unbegrenzt ist und im schlimmsten Fall mit dem Tod endet.

    hier http://www.farbwinkel.com/living-in-a-great-nation/

    Warum ich es aufgenommen habe und zeige? Um gerade bei denen, die gleich wegschauen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was in dieser Welt passiert.

    Jörn

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