Berlin im November 2015. Anlässlich der Ausstellung „Anton Corbijn – Retrospektive“ sind wir nach Berlin gereist. Am nächsten Morgen schlendern wir Richtung Kuh´Damm, um irgendwo nett zu frühstücken. Immer wieder sind Polizei-Sirenen zu hören und die Polizeipräsenz kommt uns hoch vor.
Angekommen in einem netten Café nehmen wir Platz und wählen ein leckeres Frühstück aus. Dass das Treiben an Berlins berühmtester Straße immer ruhiger wird, nehmen wir zunächst nicht wahr. Doch irgendwie breitet sich Unbehagen aus.
Ein Polizist betritt das Café. Nicht gut. „Guten Morgen. Die Straße ist abgesperrt, das haben Sie ja sicher schon bemerkt.“ Zwei Geschäftstypen meinen sich wichtig machen zu müssen und rufen laut: „Wenn sie die zwei Falschparker der beiden Autos suchen (zeigend auf zwei fette Karren), die sitzen hier.“ Der Polizist erwidert ungerührt und cool: „Das interessiert uns im Moment weniger und Sie alle bleiben bitte im Café und betreten auf keinen Fall die Straße, bis die Absperrung wieder aufgehoben wird.“ Das können die Zwei nicht ohne dämliche Erwiderung auf sich sitzen lassen und versuchen es noch einmal: “ Ha, ha, an welche Adresse dürfen wir unsere Rechnung schicken?“ Der Polizist verlässt kommentarlos die Location. Der Kellner, der gerade anderen Gästen den Kaffee serviert, zischt laut: “ Wie kann man darüber nur Witze machen!“
Und wir sitzen da. „Wenn einer von uns sagt, unter den Tisch, dann tun wir das sofort.“ Schweigen. Irgendwie essen alle weiter, aber im Grunde haften unsere Blicke an den Fenstern und das anfänglich leise Unbehagen wird immer lauter. „Paris“ ist erst 3 Tage her. Um es kurz zu machen: Es ist nichts passiert. Die Absperrung wurde nach 1/2 Stunde aufgehoben. Ein verdächtiger Gegenstand, der ein paar Eingänge weiter vor einem französischem Institut aufgefallen war, entpuppte sich als harmlos. Dennoch saßen wir da mit einem ziemlich mulmigen Gefühl und vielen Bildern im Kopf. Die heile Welt hat einen Riss.
In dieser geschichtsträchtigen Stadt erinnert alles an den Krieg, an unvorstellbare Grausamkeiten und an die Hoffnung, dass das nie vergessen wird. Unzählige Mahnmäler sollen uns daran erinnern, wie wertvoll Frieden ist. Trotzdem ist er für uns hier in Deutschland schon fast selbstverständlich geworden. Doch jetzt nicht mehr. Etwas ist anders seit dem 13. November 2015.
Am Abend gehen wir, wie so viele, an den Zaun der französischen Botschaft. Ein Meer an Kerzen, Blumen und Trauerbekundungen. Die Stimmung ist sehr bedrückend. Die wichtigste Botschaft scheint mir die zu sein, dass dies genau der Terror ist, vor dem die Flüchtlinge flüchten. Solidarität statt Misstrauen. Solidarität statt Hass, Solidarität in der Angst, von der wir uns alle jetzt vermutlich nicht ganz freisprechen können. Angst ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Wenn wir wissen wollen, was Angst ist, sollten wir diejenigen fragen, die vor diesem Terror geflohen sind.


Hinterlasse eine Antwort zu regina m. unterguggenberger Antwort abbrechen