Neulich war ich im Haus der Photographie in Hamburg und habe mir die Ausstellung „Gute Aussichten 2014/15 – Junge deutsche Fotografie“ angesehen. Ein festes Ritual im Jahresablauf, sowohl dem der Deichtorhallen, als auch in meinem. “Gute Aussichten” ist ein privat initiiertes Projekt, bei dem jedes Jahr von den verschiedenen Hochschulen und Akademien Deutschlands die vier besten Abschlussarbeiten junger Fotografen einer Jury vorgelegt werden (diesmal 115 Einreichungen von 40 Hochschulen), die darüber entscheidet, welche 8 Arbeiten in dieser Ausstellung gezeigt werden. Diesmal haben die 8 Auserwählten die ganze große Halle für sich und als Besucher atmet man angesichts des lichten Raumes auf, zumindest, wenn man wie ich vorher in der Leica-Ausstellung war, die jeden Fitzel Ausstellungsfläche nutzen musste. Ich möchte hier nicht auf alle 8 eingehen, aber auf die 2, die mir mit Abstand am besten gefallen haben.
Marvin Hüttermann: Es ist so nicht gewesen. Auf dem hell getünchtem Lese-Tisch liegen ein paar Foto-Bücher aus. Dazwischen eines, das mich mit seinem quadratischen Format und dem matt-schwarzem Einband an einen Untersetzer erinnert. Aber es ist ein Buch, nämlich das von Marvin Hüttermann, sein Titel: „Es ist so nicht gewesen.“ Die Bilder berühren mich und interessiert blättere ich Seite für Seite um. Martin Hüttermann setzt sich mit dem Tod auseinander. Behutsam nimmt er mich mit, in die Zeit des Übergangs. Wie sehen die Räume aus, in denen der verstorbene Mensch vor kurzem noch lebte? Wie sieht es dort aus, wo er jetzt ist? Die Bilder der Zimmer, die eben noch der Lebensmittelpunkt der Verstorbenen waren, zeigt er in Farbe, die jetzigen Räume in schwarzweiß, aber je länger der Mensch tot ist, je mehr verblassen die Farben und halten langsam Einzug in die Bilder aus der Leichenhalle. Auf diese Weise erzählt Marvin Hüttermann auf zwei Ebenen, was mir ausgesprochen gut gefällt. Es gibt je ein einzelnes Bild am Anfang und am Ende. Die Anderen sind paarweise angeordnet, sowohl im Buch als auch an der Wand. In jedem Paar gibt es eine weitere erzählerische Komponente. Dort ein Riss in der Tapete, hier ein Riss in der Kleidung. Dort das Schattenspiel einer Pflanze, hier das Muster der Leichenflecke unter der Haut. Ich empfinde diese Art der Erzählung als poetisch, es nimmt die Scheu vor dem Betrachten, die Scheu vor dem Tod. Dafür aber ist diese Gegenüberstellung in Bildpaaren wichtig und wird leider in dieser Galerie nicht sichtbar, auch in anderen Online-Galerien nicht, was die Bilder so einzeln fast beliebig erscheinen lässt. Das finde ich wirklich sehr schade, hat aber mit der Ausstellung nichts zu tun, denn hier wurde alles richtig gemacht.
Andrea Grützner: Erbgericht. In der Mitte der lichten Halle hängen große, farbige Prints, an denen ich zunächst vorbei gehe. Irgendwie faszinieren sie mich, aber sie irritieren auch. Es scheinen Ausschnitte aus gewöhnlichen Häusern zu sein, aber irgendwie doch fremd und besonders, auch besonders groß. Zudem fehlt den Fotos jegliche Tiefe, sie zeigen flächige, abstrakte, farbige Elemente und erinnern stark an die Farbflächen-Malerei. Bei dem Titelbild dieses Artikels (siehe oben) kommt hinzu, dass es direkt auf die Wand gedruckt zu sein scheint (es ist tatsächlich ein Großflächenplakat, direkt auf die Wand aufgebracht – ein Einweg-Bild sozusagen). Außerdem scheint mir irgendetwas merkwürdig bei den Farben und so ist es auch, denn die Fotografin hat durch farbige Folien geblitzt. Spannend und einen zweiten Besuch der Ausstellung absolut wert. Stellte sich die Begeisterung auch langsam ein, ist sie heute mein Favorit. Unter dem Foto findet ihr den Link zu einem „Geo“-Film, in dem Andrea Grützner über die Idee und die Entstehung ihrer Arbeit erzählt. Sehr sehenswert!
Auf der Seite der Deichtorhallen findet ihr umfassende Info zur gesamten Ausstellung, auch zu dem Video-Tagebuch, in welchem die Künstler auch etwas zu ihren Arbeiten erzählen.
Die Ausstellung ist nur noch bis zum 8. März 20115 in Hamburg zu sehen, aber ich lege euch die Kuratoren-Führung am 4. März um 18:00 Uhr ans Herz, Ingo Taubhorn macht das großartig :-). Die nächsten Ausstellungsorte könnt ihr auf der Webseite der Gute Aussichten erfahren.
Bei der Präsentation von „Gute Aussichten“ im Marta in Herford hat mich auch die Serie von Marvin Hüttermann am meisten beeindruckt. Zunächst fand ich es etwas befremdlich, wollte das Thema und die Bilder nicht so richtig an mich heranlassen…aber dann ging es auch mir so, dass ich bemerkte, wie einfühlsam der Künstler mit dem Thema umgeht, wie er mich langsam mitnimmt, nicht auf dem letzten Weg, sondern dem Stück danach. Die Lebenswelt des Menschen verblasst, das Belebte verabschiedet sich, der Körper, nicht der Mensch, hingegen tritt noch einmal in den Vordergrund. Wirklich nachhaltig beeindruckend. Grüße aus Herford, LOG
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Da haben wir wirklich ähnlich empfunden und ich denke (noch) jeden Tag an diese Arbeit. Sie wirkt nach, da hast du Recht. Viele Grüße nach Herford und danke für deinen Kommentar!
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Liebe Conny,
ich habe mich von deinem ersten Bericht zu den guten Aussichten nach hinten zu den älteren Berichten gehangelt.
Beim Anschauen lernt man viel. Wenn ich zufällig einmal in Hamburg bin, während eine Ausstellung der Reihe läuft, werde ich bestimmt in die Deichtorhallen gehen.
Einen schönen Tag aus Berlin wünscht dir Susanne
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Hallo Susanne, vielen Dank für dein Interesse, auch an den älteren Artikeln, das hat mich sehr gefreut! :-). 2016 wird die nächste Gute Aussichten im März in Hamburg sein. Ich wünsche dir ein schönes Rest-Wochenende und sende nette Grüße nach Berlin, Conny
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Danke für den tollen Bericht Conny.
Ich beneide Euch in Hamburg wieder einmal um das Haus der Photographie. Die Arbeit von Andrea Grützen gefällt mir super gut. Marvin Hüttenmann berührt mich (zumindest über’s Internet) nicht. Ich finde es ist eine, wenn auch sauber fotografierte Serie wie es sie auch schon von anderen Fotografen in ähnlicher Aufmachung gibt.
LG Gilles
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Vielen Dank für dein Interesse, Gilles. Ich erinnere mich, dass du solche Berichte stets mit großem Interesse liest. Diesmal ist er leider sehr kurz ausgefallen, aber es waren auch Arbeiten dabei, mit denen ich nichts anfangen konnte und darüber mag ich dann nicht schreiben.
Vielleicht liegt es an der Präsentationsform und der fehlenden direkten Begegnung mit der Arbeit von Hüttermann, dass sie dir nicht gefällt, vielleicht gefiele sie dir auch dann nicht. Es ist ja immer der Moment, wo etwas in uns zu klingen beginnt und das geschieht nicht zwischen jedem Bild und jedem Betrachter, warum auch immer.
Liebe Grüße zurück, Conny
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